WARUM ETHIK?

2.1

Zur Ethik

Forschung ist sowohl eine Bedingung als auch eine Folge von Freiheit. Das bedeutet aber nicht, dass sie frei von jeder Regel ist.

Kapitel 1 Warum Forschung? machte deutlich, welche fundamentale Triebkraft in der Forschung steckt. Forschung ist nicht primär zweckgebunden, sondern eine humane Errungenschaft, die ihren Ursprung vor über 400 Jahren fand und seitdem die Grundlage unseres Fortschritts bildet.

Diese Aussage löst womöglich nicht nur Zustimmung aus, hat dieser «Fortschritt» doch auch andere Übel, wie etwa die Klimakrise, hervorgebracht. Dem möchte ich entgegenhalten, dass dieser Fortschritt nicht unbedingt die einzige Ursache davon ist, wohl aber deren einzige Lösung. Fortschritt sollte zudem nicht als ausschliesslich technischer Natur verstanden werden, sondern kann auch das Hinterfragen und Ändern von individuellen oder gesellschaftlichen Haltungen, Einstellungen und Verhaltensweisen darstellen. Beispiele dafür sind etwa die Demokratie, die Menschenrechte, die freie Meinungsäusserung, die Einrichtung der säkularen Staatsführung oder das Primat der Bildung.

In diesem Sinn ist Forschung sowohl Bedingung als auch Folge von Freiheit. Betrachten Sie einmal Folgendes: Forscher sind frei und leisten sogenannte Grundlagenforschung, deren Nutzen nicht immer deutlich erkennbar ist. An Universitäten haben Studierende freie Wahl und können im Grunde das studieren, was sie interessiert. Zugegeben, wenn Sie dann einmal in einem Studium eingeschrieben sind, gibt es gewisse Rahmenbedingungen, wie etwa Curricula oder Studienpläne, aber Freiheit ist ja nicht gleichzusetzen mit der Absenz jeglicher Struktur. Forschung benötigt folglich Freiheit und wir, als Forschende, ermöglichen Freiheit durch Wissen, weil auf diese Weise das Verständnis für uns und die Welt wächst und wir uns freier darin bewegen können.

Aber ist Forschung frei von jeglicher Regel? Forschung ist eine freiwillige Handlung, d.h. sie wird mit Wissen und Willen ausgeführt und ist gewissen Bewertungen ausgesetzt. Dabei sind zwei Bewertungen im Rahmen dieses Kurses besonders relevant. Dementsprechend kann man die Frage nach der absoluten Regelfreiheit der Forschung aus mindestens zwei Gründen verneinen.

Zum einem ist der rechtliche Rahmen vorgegeben. Es ist verboten, Menschen zu schädigen, zu verletzen, sie zu töten. Es sind zwar teilweise auch Ausnahmen möglich; etwa wenn versucht wird, eine Straftat zu verhindern. Beispielsweise kann die Basler Kantonspolizei – wenn andere Mittel nicht ausreichen – gemäss Polizeigesetz in einer den Umständen entsprechenden Weise von der Schusswaffe Gebrauch machen, nämlich:

  • wenn sie mit einem gefährlichen Angriff unmittelbar bedroht oder gefährlich angegriffen wird;

  • wenn andere Personen mit einem gefährlichen Angriff unmittelbar bedroht oder gefährlich angegriffen werden;

  • wenn dienstliche Aufgaben nicht anders als durch Waffengebrauch auszuführen sind.

Solche Ausnahmen sind für die Forschung in der Regel weder denkbar noch nötig. Selbstverständlich gelten diese rechtlichen Vorgaben jedoch auch für die Forschung. Leider ist es aber nicht so, dass die Forschung diesbezüglich eine reine Weste hat.

Ganz im Gegenteil: Denken wir nur an die grausamen Versuche an Menschen im Dritten Reich, die absichtliche Infektion von 1300 Personen mit Geschlechtskrankheiten durch US-amerikanische Forscher von 1946 bis 1948 in Guatemala, die Nichtbehandlung von mit Syphilis infiszierten Personen in Alabama, USA oder der aktuelle Fall von genveränderten Babys aus China. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass Forschung und Forschende keine Ausnahme darstellen, und dass wir, als Akteure und Profiteure der Forschung und Wissenschaft, stets achtsam und wachsam bleiben müssen.

Neben diesen juristischen Belangen gibt es einen weiteren Referenzrahmen zur Beurteilung freiwilliger Handlungen: Die Ethik. Die Entstehung der Ethik wird mit der Sokratischen Wende in Verbindung gebracht und in der Epoche der griechischen Klassik (ca. 400 bis 300 v. Chr.) verortet. Während dieser nahm der Fokus auf die Natur als Gegenstand der Philosophie ab und verlagerte sich zunehmend auf den Menschen. Infolgedessen ging man davon aus, dass der Mensch in der Lage ist, über sich und sein Handeln nachzudenken und entsprechend vernünftig zu handeln. Die Ethik hatte und hat auch heute noch zum Ziel, Kriterien für gutes und schlechtes Handeln zu formulieren.

Damit kann die Ethik als eine äusserst praktische wissenschaftliche Disziplin verstanden werden. Tatsächlich ist es oftmals erstaunlich, wie pragmatisch die Ethik vorgeht. Wir werden dazu noch Beispiele hören bzw. sehen. Die Ethik als Kriterium moralischen Verhaltens kann in die allgemeine und in die angewandte Ethik unterteilt werden, wobei Letztere auch die Wissenschafts- bzw. Forschungsethik beinhaltet, wie die nachfolgende Grafik zeigt.

Diagramm: Ethik

Aber braucht es die Ethik in der heutigen Forschung noch? Man könnte davon ausgehen, dass die heutige Rechtsprechung und entsprechende Gesetze die entsetzlichen Greuel der Vergangenheit heute verhindern würden. Auch könnten wir annehmen, dass der Psychologie die Werkzeuge zu diesen Gräueltaten fehlen würden. Ein Blick in die Vergangenheit aber auch in die Gegenwart lehrt uns eines Besseren. Die Beispiele in den folgenden Kapiteln zeigen, dass die Psychologie ein mächtiges Instrument ist, dessen Gebrauch nicht nur Wissen und Können, sondern auch Gewissen, Moral und ethische Reflexion benötigt.

Lizenz

Universität Basel