BEHANDLUNG
5.3
Behandlung basierend auf dem biopsychosozialen Modell
Das biopsychosoziale Verständnis des Chronischen Erschöpfungssyndroms bietet verschiedene Ansatzpunkte für eine psychotherapeutische Behandlung. Diese sollen im Folgenden ihrer Bedeutung nach vorgestellt werden.
Important things first
Am Beispiel des Chronic Fatigue Syndromes wird deutlich, dass Patienten einerseits durch die Persistenz und die Beeinträchtigung stark betroffen sind, andererseits in der belastenden Situation sind, keine wirkliche Erklärung für ihren Zustand liefern zu können. Die Vorstellung, dass «alles nur psychisch ist», hängt wie ein Damoklesschwert über dem Patienten und – seien wir ehrlich – auch über dem Therapeuten.
Es ist notwendig und manchmal auch ausreichend, das Leid des Patienten anzuerkennen und gleichzeitig offen über die eigenen Reaktionen zu sprechen. In vielen Fällen kann davon ausgegangen werden, dass der Patient bereits eine Reihe von Erfahrungen mit Ärzten, Therapeuten und anderen Personen im klinischen Kontext gemacht hatte und entsprechend viel Zeit und Mut in den Aufbau einer tragfähigen Beziehung investiert werden muss, damit eine gemeinsame Arbeit zur Rückkehr ins Leben möglich ist. Ohne den Anspruch auf eine angemessene und abschliessende Darstellung beanspruchen zu wollen, lässt sich zusammenfassen: Es ist durchaus sinnvoll, sich mit eigenen Hypothesen und Annahmen zur Entstehung der Beschwerden vornehm zurückzuhalten. Vielmehr ist es wichtig, beim Patienten zu bleiben.
Die auf den empirischen Kenntnisstand angemessene Zuversicht, dass eine Psychotherapie hier das Mittel der Wahl ist, wird gegebenenfalls vom Patienten als «Wenn mir eine Psychotherapie hilft, heisst das im Umkehrschluss auch, dass ich eine psychische Störung habe» verstanden. Obschon man als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut sicherlich ein beträchtliches Quantum an Zuversichtlichkeit in die Therapie einbringen sollte und dies auch nötig ist (nicht nur bei diesen Störungsbildern, aber hier besonders), ist es wenig erfolgversprechend, diese Zuversicht dem Patienten einzureden. Vielmehr kann die Zuversicht, dass in der betreffenden Therapie ein Erfolg erzielt werden kann, sehr gut durch Verständnis seitens der Therapierenden sowie einer gemeinsamen und konstruktiven Zusammenarbeit in der Therapie erarbeitet werden. Eine vertrauenswürdige und konstruktive Beziehung ist dabei nicht nur Grundlage für die Erarbeitung eines gemeinsamen Entstehungs- und Aufrechterhaltungsverständnisses, sondern darüber hinaus auch die Voraussetzung für die Erkennung, Thematisierung und Bearbeitung von persönlich bedeutsamen und oftmals schwierigen Themen.
Wie schon in Kapitel 4.1 aufgeführt, können bestimmte Dispositionen und Bewältigungsmechanismen, welche in frühen Entwicklungsphasen entstanden sind, als prädisponierende Faktoren angesehen werden. Da diese Muster vor allem im sozialen Kontext, d.h. in der Interaktion mit anderen, zum Tragen kommen, erfolgt eine Bearbeitung und Veränderung in der Regel auch im Zwischenmenschlichen, d.h. in der Beziehung zwischen Psychotherapeutin/Psychotherapeut und Patient.
Getting back on the horse
Wie in den Kapiteln 4.1 und 4.4 beschrieben, kommt es aufgrund der Aktivitätsreduktion zu einem zunehmenden Teufelskreis aus Dekonditionierung, zunehmenden Belastungssensibilität und weiterer Aktivitätsreduktion. Entsprechend ist der allmähliche Aufbau einer angemessenen Aktivität zentraler Bestandteil einer Behandlung. Es gilt hierbei zu beachten, dass die gemeinsame Erarbeitung eines entsprechenden Verständnisses dieses Teufelskreislaufs grundlegend ist. Oder anders ausgedrückt: Wenn die Wiederaufnahme von Aktivität dem subjektiven Krankheitsmodell widerspricht, ist diesem an sich löblichen Ansinnen keine Zukunft gegeben.
Beim Aufbau von Aktivität ist es stattdessen wichtig, dass die tatsächliche körperliche Fitness berücksichtigt wird. Oft haben betroffene Patientinnen und Patienten sehr negative Erfahrungen mit zu intensiven Aktivitäten gemacht (beispielsweise wenn an einem «guten Tag» versucht wurde, wieder ein früher betriebener Sport zu treiben), was dann oft als Beleg für eine somatische Fehlfunktion gewertet wird. Also lieber sehr langsam und leicht anfangen, dafür aber konsequent und dauerhaft die Aktivitäten steigern. Hilfreich ist hier auch der Einbezug von Physiotherapeuten.
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Universität Basel