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EIN TEXT DER TEXTE

2.3

Zeittafel

Der Bibeltext in einer Zeitreise mit 12 Stationen


1. Station: Altes Testament, Hebräisch

Die Schriften des Alten Testaments (hebr. Tanach) entstanden zwischen dem 9. und 2. Jh. BC, zum Teil aus viel älterer mündlicher Überlieferung. Der sogenannte Kanon, d.h. welche Bücher zur jüdischen Heiligen Schrift gehören, war aber erst gegen Ende des 1. Jh. AD etabliert. An diesem Text, in reiner Konsonantenschrift, durfte danach gar keine Veränderung mehr vorgenommen werden. In späteren Jahrhunderten kam es zu Unsicherheiten hinsichtlich der Aussprache, und im 9.–10. Jh. fügten die Masoreten (Schriftgelehrten) Vokalzeichen und andere Lesehilfen und Erklärungen hinzu. Dieser ebenfalls streng festgelegte Text des AT wird deshalb der masoretische genannt und ist die Grundlage aller modernen Übersetzungen in andere Sprachen.


2. Station: Altes Testament, Griechisch: Die Septuaginta

Mit der Hellenisierung des östlichen Mittelmeerraums und somit vieler der dort ansässigen Juden entstand das Bedürfnis nach einer griechischen Fassung der alttestamentlichen Schriften. Septuaginta (d.h. die lateinische Zahl Siebzig, daher auch LXX) ist der Titel des Alten Testaments in griechischer Übersetzung, nach der Legende, dass 70 verschiedene Übersetzer unabhängig voneinander zum wörtlich gleichen Resultat gekommen seien; deshalb galt dem hellenistischen Judentum in Palästina und Ägypten auch diese Übersetzung als göttlich inspiriert. Tatsächlich entstanden die griechischen Übersetzungen der Bücher des AT zwischen ca. 250 BC und 100 AD, und die Übersetzung wurde zum Teil auch überarbeitet. Die Sprache ist das einheitliche hellenistische Griechisch (Koine) mit hebräischen und aramäischen Elementen.


3. Station: Neues Testament, Griechisch

Die Schriften des Neuen Testaments wurden in der zweiten Hälfte des 1. Jh. abgefasst; am ältesten sind die Paulusbriefe. Die Sprache ist wie in der Septuaginta Koine-Griechisch, die Verkehrssprache des östlichen Mittelmeerraums seit dem Hellenismus, und wie dort finden sich darin auch zahlreiche hebräische und aramäische Elemente, sogenannte Hebraismen. In den Schriften des NT lassen sich etwa 400 Zitate aus der Septuaginta nachweisen. Der Kanon der neutestamentlichen Schriften stand ab dem 2. Jh. weitgehend fest, definitiv 367 (Liste des Athanasius, 27 Bücher).


4. Station: Neues Testament, erste lateinische Übersetzungen

Mit der zunehmenden Verbreitung des Christentums im Westen entstanden im 2. Jh. die ersten lateinischen Übersetzungen von NT-Texten, die unter dem Begriff «Vetus Latina» («alte lateinische» [Übersetzung]) zusammengefasst werden. Es sind Wort-für-Wort-Übersetzungen, ursprünglich wohl Interlinearversionen, oft nicht idiomatisches Latein. Sie blieben aber lange neben der Vulgata in Gebrauch; einzelnes erhielt sich in der Liturgie (Paternoster, das Vaterunser).


5. Station: Neues Testament, Lateinisch: Hieronymus und die Vulgata

Nach der Anerkennung des Christentums im Römischen Reich setzte sich Latein vermehrt auch als Kultsprache durch. Besonders nach dem Edikt zur Staatsreligion brauchte die Reichskirche eine qualitativ gute, verbindliche lateinische Textfassung. Hieronymus übersetzte im Auftrag des Papstes Damasus I. ab 382 zuerst das NT, später auch das AT (mit Rückgriff auf das Hebräische); er orientierte sich ausser am klassischen auch am gesprochenen Latein seiner Zeit. Diese später «Vulgata» («allgemein verbreitete») genannte Übersetzung, nicht der griechische Text, ist seit 1546 (Konzil von Trient) bis heute die verbindliche Fassung des Bibeltexts in der katholischen Kirche. Hieronymus war als «vir trilinguis» (dreisprachig) das grosse Vorbild des Erasmus.


6. Station: Karl der Grosse und Alkuin

Im Zuge der Umwälzungen nach dem Ende des weströmischen Reiches zerfiel das Bildungswesen in Kontinentaleuropa weitgehend; das Griechische geriet völlig in Vergessenheit. Mönche von den britischen Inseln verbreiteten die christliche Schriftkultur. Mit dem Gelehrten Alkuin von York, den er an seinen Hof holte, verwirklichte Karl d. Gr. eine umfassende Bildungsreform. Ab 796 war Alkuin Abt von Tours und initiierte dort die Produktion von Bibelhandschriften von höchster textlicher und buchgestalterischer Qualität für das ganze Reich; in diesen «Turonischen Bibeln» wurde die neu geschaffene karolingische Minuskelschrift verwendet.


7. Station: Bibeln für den Privatgebrauch

Immer mehr kam im Mittelalter das Bedürfnis nach Bibeln für den Privatbesitz auf. Die romanischen Bibeln für den kirchlichen Gebrauch waren prachtvoll, aber auch schwer und unhandlich, oft mehrbändig. Ab etwa 1200 entstand in Nordfrankreich ein neuer Typus von Vollbibeln (sog. Pandekten) für den Privatgebrauch, in einem Band, kleinformatig, in feinster, jetzt gotischer Schrift auf dünnstem Pergament. Nach ihrem Ursprungsgebiet heissen sie «Pariser Bibeln», verbreiteten sich aber im 13. Jh. in ganz Europa. Es sind nicht nur im Format, sondern auch in der Konzeption geradezu ‘modern’ anmutende Bücher, z.B. durch die grossenteils heute noch gültige Kapiteleinteilung des Engländers Stephen Langton und die Normierung der Reihenfolge der biblischen Bücher.


8. Station: Renaissance-Humanismus

Ausgehend von Italien im 14. Jh. war die Renaissance eine Bewegung, die durch die Hinwendung zur als vorbildhaft empfundenen Kultur und Literatur der römischen, dann auch griechischen Antike und durch Kritik am scholastischen Bildungs- und Wissenschaftsbetrieb geprägt war. Im Umgang mit den antiken Texten entwickelte sich die Philologie, wörtlich die Liebe zu Wort, Sprache und Denken, und der Humanismus, der die Lektüre der antiken Texte als Gespräch mit ihren Autoren verstand und die klassische Bildung als Weg zur Entwicklung der menschlichen Möglichkeiten. Wichtigster Vorgänger des Erasmus auf dem Gebiet der Bibelphilologie war Lorenzo Valla mit seinen Arbeiten zur lateinischen Sprache und zum lateinischen NT-Text.


9. Station: Buchdruck

Zusammen mit dem Aufschwung der Papierherstellung in Europa eröffnete die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern nie dagewesene Möglichkeiten, den stets wachsenden Bildungs- und Lesehunger der Zeit zu stillen. Der Druck der Gutenberg-Bibel erfolgte praktisch zeitgleich mit dem Fall von Konstantinopel, nach dem viele griechische Gelehrte in den Westen flohen. Damit waren nach fast tausendjährigem Unterbruch auch im Westen wieder die Voraussetzungen für die Beschäftigung mit griechischen Texten, auch dem NT, gegeben, und es wurden, zuerst in Venedig, auch griechische Bücher gedruckt.


10. Station: Erasmus: «Novum Instrumentum» und «Comma Iohanneum»

Langfristig und auch schon für viele Zeitgenossen war der wichtigste Teil des «Novum Instrumentum» von 1516 die ‘Editio princeps’, d.h. die erste gedruckte Ausgabe, des griechischen Originaltexts des NT. Für Erasmus selbst war dies aber seine überarbeitete Fassung der lateinischen Übersetzung. Im Wissen darum, wie heikel jeder Eingriff in den Vulgata-Text aus kirchlicher Sicht sei, begründete er die Abweichungen in seinen «Annotationes». Auch der griechische Text sollte ursprünglich vor allem die revidierte lateinische Fassung stützen. Das prominenteste Beispiel dafür ist das «Comma Iohanneum» (1. Joh. 5, 7-8). Dieser Passus (wohl ein in den Text gerutschter Randkommentar), der als Beweis für die Trinitätslehre galt, stand zu Erasmus’ Zeit in der Vulgata, fehlt aber in den älteren lateinischen und in allen griechischen Textzeugen vor 1516; daher liess Erasmus ihn weg. Dies trug ihm heftige Kritik kirchlicher Kreise ein.


11. Station: Index

Erasmus’ Arbeit hatte nicht zuletzt Erfolg bei den Reformatoren: So diente sein griechischer Text als Grundlage für Übersetzungen in die Volkssprachen, Auszüge aus den «Annotationes» wurden in Übersetzung zitiert, und obwohl er sich davon distanzierte, als Bundesgenosse Luthers angeführt zu werden, sah ihn auch die Kirche so. Seine ersten Ausgaben erschienen unter der Schirmherrschaft des Papstes Leo X., in den späteren machte er Konzessionen, aber sein Werk geriet immer mehr ins Kreuzfeuer kirchlicher Kritik. Besonders seinem zentralen Anliegen einer verbesserten lateinischen Übersetzung des NT war kein dauerhafter Erfolg beschieden. 1546 wurde die Vulgata zur offiziellen Textfassung der katholischen Kirche erklärt, und 1559 Erasmus’ gesamtes Werk auf den neu geschaffenen Index der verbotenen Bücher gesetzt. Eine Gegenbewegung setzte bereits 1564 mit dem Tridentinischen Index ein, aber erst 1966 wurde der Index offiziell abgeschafft.


12. Station: Vom «Textus receptus» zu den modernen Ausgaben

Der griechische Text, wie ihn Erasmus mithilfe der nicht sehr alten Handschriften konstituierte, die ihm zur Verfügung standen, blieb über Jahrhunderte die Grundlage für alle folgenden Ausgaben. Ab 1633 wurde er als «Textus receptus» (allgemein akzeptierter Text) bezeichnet, und ebensowenig wie die katholische Kirche Abweichungen von der Vulgata, duldete die reformierte Orthodoxie solche von diesem griechischen Text, wie J.J. Wettstein im 18. Jh. erfahren musste. Die erste in der Textgestaltung von Erasmus unabhängige Ausgabe (selbstredend ohne «Comma Iohanneum») publizierte K. von Tischendorf 1869-1872. Mit seiner Ausgabe beginnt die Zeit der modernen historisch-kritischen Editionen.

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Universität Basel

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